Das Zweite Laterankonzil 1139 in Rom zählt zu den großen Kirchenversammlungen des Mittelalters. Ein Schisma wurde beendet und ein König exkommuniziert. Dass man sich daneben mit der „todbringenden und von Gott verhassten Kunst der Armbrust- und Bogenschützen“ befasste, sagt einiges über das Bild dieser Waffen in der Öffentlichkeit aus. Wer sie gegen Christen einsetzte, werde hinfort mit Verdammung bestraft, lautete der Beschluss der Kirchenfürsten. Das sollte sich ändern. Mehr als 660 Jahre später stilisierte Friedrich Schiller mit seinem Drama „Wilhelm Tell“ ausgerechnet einen Armbrustschützen zum Symbol des heroischen Freiheitskämpfers, dem Demokraten Denkmäler errichteten.
Wie wenige Waffen ist die Armbrust mit dem gesellschaftlichen Milieu derer verbunden, die sie führten. Kaiser führten sie und namenlose Kriegsknechte. Ritter verachteten sie, während Bürger sie mit Stolz trugen. Obwohl sie auf dem Schlachtfeld von den Feuerwaffen abgelöst wurde, schätzen Jäger sie noch heute. Ihre Technik mag veraltet sein, aber sie fasziniert bis in die Gegenwart.
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Anders als der urtümliche Bogen ist die Armbrust (vom mittelhochdeutschen „berust“, Bewaffnung) ein Zeugnis elaborierter Technik, die erst in Hochkulturen zur Verfügung stand. Als Hand„feuer“waffe – auch ohne Pulver ist ihr dieses Bild zu eigen – wurde sie unabhängig voneinander von römischen Artilleristen und chinesischen Schützen eingesetzt. Am Ende der Antike ging das Wissen um ihre Herstellung verloren.
Erst die Wikinger entdeckten ihre Vorzüge womöglich im Orient wieder. Funde von Bolzenspitzen belegen, dass Wilhelm der Eroberer sie 1066 bei Hastings gegen den Angelsachsen Harald II. eingesetzt hat. Auf dem Teppich von Bayeux allerdings, auf dem der Sieg der Normannen verherrlicht wird, sucht man diese markante Waffe vergebens. Schämte sich Wilhelm ihrer?
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Der schlechte Ruf der Armbrust hat viel mit sozialer Distinktion zu tun. Seit der landbesitzende Adel zur herrschenden Schicht des Mittelalters aufgestiegen war, beanspruchte er als Panzerreiter die Hauptrolle auf dem Schlachtfeld für sich und legitimierte damit zugleich seine herausgehobene Stellung. Der Krieg war seine Domäne, Aufgabe der Bauern und Städter war es allenfalls, die Ritter mit Nahrung, Geld und Ehrerbietungen zu versorgen. Doch das reichte nicht aus, um Kriege zu führen. Als Diener, Kutscher, Köche und Stallburschen begleiteten die Untertanen ihre Herren. Und bald sorgte der gesunde Menschenverstand dafür, sie zu bewaffnen.
So kamen Leichtbewaffnete auf das Schlachtfeld. Sie führten Spieße und Lanzen, um sich gegen Reiterattacken zur Wehr zu setzen, sowie – über alle Verbote hinweg – Fernwaffen wie den Bogen oder eben die Armbrust. Ihre Bolzen, an deren Enden Metallspitzen aufgesteckt waren, entwickelten eine enorme Durchschlagskraft, die über 30 bis 40 Meter hinweg zielgenau sogar die Panzerplatten massiver Rüstungen durchschlagen konnten. Da der Bolzen mit einem Abschussmechanismus, dem Schloss, ausgelöst wurde – also nicht von Hand gehalten werden musste, wie beim Bogen – konnten die Schützen ruhig ihr Ziel anvisieren und für sich entscheiden, wann sie den Gegner niederstreckten, der in der gesellschaftlichen Hierarchie deutlich über ihnen stand.
Als tödliche Gefahr für den Ritter und als Kämpfer, der außerhalb ihres Regelwerks agierten, sprengten die Armbrustschützen das soziale Gefüge des Mittelalters. Und mit der Zeit kam ein weiterer Aspekt hinzu. Da das Spannen einer Armbrust bis zu einer Minute benötigte – in der Zeit konnte ein Bogenschütze bis zu zehn Schuss abgeben –, „kam sie vor allem bei Belagerungen zum Einsatz“, sagt Sven Lüken, der 2019/20 eine Ausstellung über die Armbrust im Deutschen Historischen Museum in Berlin kuratiert hat. „Auf beiden Seiten der Mauer konnte sie gezielt und berechnend eingesetzt werden.“ Auf dem offenen Schlachtfeld suchten die Schützen Schutz hinter mannshohen „Setzschilden“ (Pavesen), von denen einige in Berlin gezeigt werden. Für den Flankenschutz waren Leichtbewaffnete mit Piken und Hellebarden unumgänglich.
Mit zahlreichen Beispielen macht die Ausstellung deutlich, dass die Armbrust als technisches Meisterwerk dem urbanen Milieu entsprang und Rittern daher verdächtig erschien. Allein die massiven Zahnstangenwinden aus Metall, mit denen eine Zugkraft von 200 Kilogramm und mehr erreicht wurde, forderten spezialisiertes Handwerk. Auch die Kompositbögen aus Horn und Holz, ihre Verbindung mit dem Schaft und die Mechanik des Schlosses waren eine Aufgabe für Spezialisten, ebenso das Drehen der Sehnen aus Hanf, Pferdehaar und Wachs. Hinzu kamen Kunsthandwerker, die hochwertige Waffen mit exquisiten Schmuckmaterialien wie Perlmutt oder feinen Reliefarbeiten verzierten.
Die Waffenschmieden in den größeren Städten – im Heiligen Römischen Reich waren Nürnberg, Augsburg und andere Zentren in Süddeutschland begehrte Lieferanten – gingen mit der Zeit. „Armbruster“ fertigten kompakte (Halbrüstung) und große (Ganzrüstung) Exemplare. In der Schlacht bei Crécy 1346, in der während des Hundertjährigen Krieges zwischen England und Frankreich ein französisches Ritterheer von englischen Langbogenschützen vernichtet wurde, fielen die französischen Armbrustkämpfer weitgehend aus, weil Regen die Verleimung ihrer Bögen ruiniert hatte. Daher entwickelte man Bögen aus Eisen. Bei Crécy sprengten die französischen Reiter übrigens ohne Rücksicht auf Verluste einfach durch die Linien ihrer Schützen, was einiges über deren Wertschätzung aussagt.
Die aufwendige Technik machte Armbrüste zu kostspieligen Waffen. Da ihr Einsatz aber – anders als der englische Langbogen, der jahrzehntelanges Training erforderte – verhältnismäßig leicht zu erlernen war, wurden zahlreiche Spezialeinheiten mit ihnen ausgerüstet. Das konnten nur liquide Fürsten übernehmen oder eben wohlhabende Städte. In ihren Arsenalen wurden die Armbrüste vorgehalten, die im Verteidigungsfall an Bürger ausgegeben wurden.
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Von dort war es nicht weit zur zweiten Karriere der Armbrust. In dem Maße, wie Feuerwaffen wie Arkebusen und Musketen sie im 16. Jahrhundert vom Schlachtfeld verdrängten, wurde sie zu einem Mittel der Repräsentation, der Jagd und der Unterhaltung.
Ausgerechnet der Adel sorgte dafür, dass die Armbrüste Einzug ins friedliche Zivilleben hielten. Kaiser Maximilian I. (1459–1519), ein begeisterter Jäger, erklärte sie zur idealen Jagdwaffe, die den barbarischen Feuerwaffen haushoch überlegen sei, „weil sie nahezu geräuschlos schießt und das Wild nicht verscheucht“, sagt Lüken. Experimente mit Nachbauten haben ergeben, dass bei einem Zuggewicht von 415 Kilogramm mit ihnen Schussweiten von 250 Metern erzielt werden konnten.
Bis ins 18. Jahrhundert erfreute sich die adlige Jagd mit der Armbrust großer Zustimmung, bevor sie im 19. Jahrhundert ein begehrtes Objekt für Militariasammler wurde. 1916 wurde in Dresden der letzte Armbrustspanner pensioniert. Seine Aufgabe war es gewesen, dem König von Sachsen die geladene Waffe zu reichen.
Parallel zum adligen Zeitvertreib fanden auch die Bürger eine neue Aufgabe für ihre Schusswaffen. Aus den regelmäßigen Übungen und Aufzügen der Stadtbevölkerung bildeten sich gesellschaftliche Rituale heraus. Ihre Milizen fanden in Schützengilden zusammen, die ihre Aufgabe zunehmend in der Organisation von Festen sahen. Zu diesen luden „Schützenbriefe“ ein, die zum ältesten gedruckten Gebrauchsschrifttum im Reich gehören. Zeitgenössische Darstellungen zeigen, wie hier mit Armbrüsten und Musketen auf Ziele in Form von Vögeln oder Scheiben geschossen wurde. Als Preis winkte nicht selten ein prachtvoller Ochsen. Alkohol und andere Freuden sorgten für gute Unterhaltung.
Auch der Adel ließ sich dazu herab, diese überregionalen Feste mit seiner Anwesenheit zu beehren, boten sie ihm doch die Möglichkeit der Repräsentation. Fürsten und Untertanen fanden im Zeichen des gelungenen Schusses zusammen.
Für die Zuschauer von Friedrich Schillers „Tell“ war der „Apfelschuss“ also nicht nur ferner Mythos, sondern zitierte Lebenswirklichkeit. In ihr trugen nicht selten bürgerliche Schützen den Festsieg davon. Von da war es nicht weit bis zu der großen Geste, die Geschichte vom missachteten Armbrustträger des Mittelalters als Freiheitskampf gegen ungerechte Obrigkeiten zu deuten.
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Author: Joseph Marquez
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