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Niemand plant, den Geldfluss zu überwachen?


Kürzlich hat die Europäische Zentralbank beschlossen, dass heute die Vorbereitungsphase für das Projekt digitaler Euro startet. Für etliche Europäer ist das eher eine beunruhigende Nachricht - wohl zu recht.

Am 18. Oktober beschloss der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB), zur nächsten Phase des Projekts digitaler Euro überzugehen, nämlich zur Vorbereitungsphase, die am 1. November 2023 beginnt und zunächst auf zwei Jahre angelegt ist. Damit ist die bisherige zweijährige Untersuchungsphase zur Ausgestaltung und Bereitstellung eines digitalen Euro abgeschlossen. Die Vorbereitungsphase legt nun den Grundstein für einen möglichen digitalen Euro: Unter anderem sollen das Regelwerk fertiggestellt und Anbieter für die Entwicklung von Plattform und Infrastruktur ausgewählt werden. 

EZB-Präsidentin Christine Lagarde merkt dazu an: „Wir müssen unsere Währung auf die Zukunft vorbereiten. Wir sehen einen digitalen Euro als eine digitale Form von Bargeld, mit der sämtliche digitalen Zahlungen kostenlos möglich sind und die die höchsten Datenschutzstandards erfüllt. Ein digitaler Euro würde parallel zum physischen Bargeld bestehen, das stets verfügbar sein wird, sodass niemand zurückgelassen wird.“ Die EZB hat den digitalen Euro auf Grundlage der Ergebnisse aus der Untersuchungsphase entworfen, die ebenfalls am 18. Oktober in einem detaillierten Bericht veröffentlicht worden sind.

In der einleitenden Zusammenfassung dieses 44-seitigen Berichts wird argumentiert, dass sich digitale Zahlungen in einer digitalisierten Gesellschaft immer größerer Beliebtheit erfreuen und daher die Europäische Zentralbank (EZB) wie andere große Zentralbanken die Möglichkeit untersucht, Bargeld durch eine digitale Zentralbankwährung zu ergänzen. Die Marktforschung habe gezeigt, dass es einen ausreichend großen Pool von europäischen Anbietern gibt, die in der Lage sind, digitale Euro-Lösungen zu entwickeln, und dass eine Vielzahl technologischer Gestaltungsoptionen zur Verfügung steht. Ein digitaler Euro würde die wichtigsten Eigenschaften des Bargelds beim digitalen Bezahlen nutzen:

- weithin akzeptiert und einfach zu verwenden;
- kostenlos für den Grundgebrauch;
- für alle digitalen Zahlungen im Euroraum verwendbar;
- keine Online-Verbindung erforderlich (könnte auch offline verwendet werden);
- den größtmöglichen Schutz der Privatsphäre bietend;
- umfassend, niemanden zurücklassend;
- sofortige Abwicklung von Zahlungen;
- sicher;
- risikofrei (von der Zentralbank ausgegebenes Geld);
- für Zahlungen an der Verkaufsstelle und von Person zu Person verwendbar.

Kein anderes digitales Zahlungsmittel biete alle diese Eigenschaften auf einmal. Der digitale Euro würde diese Lücke schließen.

Kein Interesse, das Zahlungsverhalten zu überwachen?

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Im Bericht heißt es weiter: „Mit einem digitalen Euro hätten die Menschen mehr Wahlmöglichkeiten bei der Bezahlung und eine sichere Lösung, bei der ihre Privatsphäre voll und ganz gewahrt bliebe. Die Zentralbank hat kein Interesse daran, das Zahlungsverhalten der Menschen zu überwachen, und verfolgt keine kommerziellen Ziele. Sie hätte keinen Zugang zu personenbezogenen Daten, die eine direkte Identifizierung der Endnutzer ermöglichen würden, und würde diese auch nicht speichern. Mit dem digitalen Euro soll auch bei Offline-Zahlungen ein bargeldähnliches Maß an Privatsphäre erreicht werden, da er keine Validierung durch Dritte erfordert und lediglich auf der direkten Überweisung vom Zahler an den Zahlungsempfänger beruht. Darüber hinaus wäre der digitale Euro einfach zu bedienen, so dass auch diejenigen, die mit digitalen Geräten Schwierigkeiten haben, nicht auf der Strecke bleiben würden. Es würde ein Basisangebot zur Verfügung stehen, damit diejenigen, die sich keine Zahlungskarte leisten können oder kein Bankkonto haben, nicht ausgeschlossen werden.“

Das klingt zunächst beruhigend. Allerdings würden mit einem von der Zentralbank herausgegebenen digitalen Euro Strukturen geschaffen, die trotz gegenteiliger Beteuerung eines Tages durchaus zur Kontrolle der Bürger genutzt werden könnten, denn ein digitales Zentralbankgeld (Central Bank Digital Currency, kurz: CBDC) könnte leicht mit anderen digitalen Daten wie beispielsweise dem persönlichen ökologische Fußabdruck verknüpft werden. Ohnehin gibt es schon jetzt verschiedene Möglichkeiten, digital zu zahlen, sodass nicht noch ein weiteres digitales Zahlungsmittel nötig wäre. Auch die Zusicherung, dass neben dem digitalen Geld das Bargeld als gesetzliches Zahlungsmittel erhalten bleiben soll, kann konkret nur dann eingehalten werden, wenn es eine entsprechende Infrastruktur gibt.

Die EZB verspricht sich jedoch von der Einführung des digitalen Euro, dass die „Widerstandsfähigkeit Europas“ gestärkt werde - und zwar  auf mindestens drei Arten: Erstens würde es mit dem digitalen Euro eine Zahlungslösung für den Euroraum unter europäischer Führung geben. Dies würde die „strategische Autonomie des gesamten europäischen Zahlungsökosystems“ unterstützen. Zweitens würde sich ein digitaler Euro auf seine eigene Infrastruktur beziehen können und dadurch die Widerstandsfähigkeit des europäischen elektronischen Zahlungssystems im Falle von Cyberangriffen und technischen Störungen erhöhen. Drittens würde ein digitaler Euro als paneuropäische Plattform die Effizienz des Zahlungsverkehrssystems steigern, die Kosten senken und die Innovation fördern.

Bevor die EZB den digitalen Euro ausgeben kann, muss allerdings ein Rechtsrahmen entwickelt werden. Hierzu hat die EU-Kommission am 28. Juni dieses Jahres einen Legislativvorschlag vorgelegt (wir berichteten hier), der noch durch das Europäische Parlament und den Rat verabschiedet werden muss. Am 15. Februar fand bereits das erste Treffen einer eigens eingerichteten Gruppe für die Entwicklung des digitalen Euro-Regelwerks (Rulebook Development Group, kurz: RDG) statt, um einheitliche Regeln, Standards und Verfahren für den digitalen Euro zu entwerfen. Diese Gruppe setzt sich aus Fachleuten des Eurosystems – das sind die EZB und die nationalen Zentralbanken des Euroraums – sowie Marktvertretern zusammen, die Input von der Finanzbranche, Verbrauchern und dem Handel einholen. Neben dieser Gruppe, deren Mitglieder hier eingesehen werden können, wurde eine Reihe spezieller „Workstreams“ eingerichtet, um an bestimmten Abschnitten des Regelwerks zu arbeiten, die besondere Fachkenntnisse erfordern. 

Enge Zusammenarbeit mit politischen Entscheidungsträgern

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Außerdem pflegt das Eurosystem eine enge Zusammenarbeit mit politischen Entscheidungsträgern, Gesetzgebern, „Marktakteuren“ und Organisationen der „Zivilgesellschaft“ und tauscht sich regelmäßig mit ihnen aus. Dieser Austausch erfolgt in unterschiedlichen Gremien wie etwa dem Euro Retail Payments Board, einem Forum unter dem Vorsitz der EZB, in dem alle wichtigen Akteure des Zahlungsmarkts vertreten sind. Insgesamt wird das Projekt durch die hochrangige „Task Force“ für digitale Zentralbankwährungen des Eurosystems gesteuert, die dem EZB-Rat Bericht erstattet. Diese Task Force setzt sich wiederum aus Vertretern der EZB und der 20 nationalen Zentralbanken des Euro-Währungsgebiets zusammen und steht unter dem Vorsitz von EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta.

In der Vorbereitungsphase wird laut EZB ausdrücklich „getestet und erprobt, wie sich ein digitaler Euro entwickeln lässt, der sowohl den Anforderungen des Eurosystems als auch den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer gerecht wird, beispielsweise in Bezug auf Nutzungserlebnis, Datenschutz, finanzielle Inklusion und ökologischen Fußabdruck. Die EZB wird in dieser Phase weiterhin den Austausch mit der Öffentlichkeit und allen Stakeholdern suchen. Nach zwei Jahren entscheidet der EZB-Rat, ob er zur nächsten Phase der Vorbereitungen übergeht, um den Weg für die mögliche zukünftige Ausgabe und Einführung eines digitalen Euro zu ebnen.“ Hier wird der „ökologische Fußabdruck“ tatsächlich wörtlich erwähnt. Sowieso beschäftigt sich die EZB nicht ausschließlich mit Finanzfragen, sondern mit weiter gefassten politischen Themen wie etwa mit dem – wie könnte es anders sein – Klimaschutz. Dabei geht es u.a. um CO2-Bepreisung und ein nachhaltiges Finanzwesen.

Der digitale Euro würde von „beaufsichtigten Intermediären“ wie beispielsweise Banken bereitgestellt und wäre so für Menschen und Unternehmen allgemein zugänglich. Mit einem „Kompensationsmodell zwischen Intermediären und Händlern“ würde dafür gesorgt werden, dass es Anreize zur Bereitstellung eines digitalen Euro durch Intermediäre gibt. Der Zugriff auf den digitalen Euro würde entweder über eine proprietäre App (die das Recht und die Möglichkeiten der Wieder- und Weiterverwendung sowie Änderung und Anpassung durch Nutzer und Dritte stark einschränkt) und Online-Schnittstelle des Zahlungsdienstleisters oder über eine Digitale-Euro-App des Eurosystems erfolgen. Auch Menschen ohne Bankkonto oder digitales Endgerät könnten in digitalen Euro bezahlen, beispielsweise mit einer Karte, die von öffentlichen Stellen wie Postämtern bereitgestellt würde. Zudem könnte der digitale Euro an Geldautomaten in Bargeld umgetauscht werden – und umgekehrt. 

In der Regel würde die Verwendung des digitalen Euro jedoch über eine elektronische Geldbörse – die sogenannte Wallet – erfolgen. Auch die EU-Kommission führt bereits Pilotprojekte für eine „EU-Brieftasche für digitale Identität“ durch. Hier würden dann eben doch beispielsweise digitale Identität, Bankkonto, Bildungszertifikate, Registrierung von Pre- und Postpaid-SIM-Kartenverträgen, die Beantragung eines Reisepasses oder der Zugang zu Sozialversicherungsleistungen in einer einzigen Wallet gebündelt werden. Zudem würde für Guthaben in digitalen Euro, die Privatpersonen oder Unternehmen in ihrer Wallet halten, eine Obergrenze festlegt werden. So würde im Sinne der Finanzstabilität einem „übermäßigen Abfluss von Einlagen bei den Banken“ entgegengewirkt. Über den Höchstbetrag hinausgehende Zahlungen wären nur dann möglich, wenn Nutzerinnen und Nutzer ihre Wallet mit ihrem Bankkonto verknüpfen. 

„Gewährleistung einer angemessenen Aufsicht und Überwachung“

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Die EZB führt über ihre eigene Euro-App aus: „Bei der digitalen Euro-App handelt es sich um eine mobile Anwendung, die das Eurosystem den Nutzern zur Verfügung stellt, damit sie über ein Smartphone mit ihrem PSP [Payment Service Provider = Zahlungsdienstleister] interagieren können, um beispielsweise Informationen anzuzeigen oder Zahlungen zu veranlassen. Sie ist eine Front-End-Lösung für alle vorrangigen Anwendungsfälle des digitalen Euro. Die Bereitstellung dieser App würde sicherstellen, dass die von Verbraucherverbänden und Marktforschungsinstituten ermittelten Grundfunktionen zur Verfügung stehen, sowie Funktionen, die die digitale Integration und die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen und geringen digitalen Kenntnissen unterstützen. Sie würde auch die Einstiegshürden für Zahlungsdienstleister senken, die nicht über die Ressourcen für die Entwicklung einer eigenen digitalen Euro-App verfügen. Die digitale Euro-App würde einen einheitlichen Einstiegspunkt mit einem einheitlichen Erscheinungsbild bieten, kann aber nicht ohne Onboarding mit einem PSP genutzt werden. Den Zahlungsverkehrsdienstleistern würde es weiterhin freistehen, ihre eigene App zu entwickeln und mit ihr zu arbeiten, um mit den Endnutzern zu interagieren. Die digitale Euro-App würde mit den neuesten Versionen der mobilen Betriebssysteme auf dem aktuellsten Stand gehalten werden.“

Zwar wird von Seiten der EU und der EZB immer wieder darauf verwiesen, dass es sich bei der Einführung des digitalen Euro noch nicht um eine beschlossene Sache handelt, doch klingen die Verlautbarungen von Politikern auf EU-Ebene anders. So wurde etwa auf dem letzten Euro-Gipfel, der gerade am 27. Oktober stattfand, folgende Erklärung abgegeben: „Die Führungsspitzen nahmen die jüngsten Fortschritte bei den Arbeiten zum digitalen Euro zur Kenntnis, darunter den Vorschlag der Europäischen Kommission für ein Paket zur einheitlichen Währung und den Beschluss der Europäischen Zentralbank, zur nächsten Phase ihrer Sondierungsarbeiten überzugehen. Sie werden die Fortschritte beim digitalen Euro regelmäßig überprüfen.“ Und der Vorsitzender der Euro-Gruppe Paschal Donohoe spricht von „wichtigen Meilensteinen“, die das digitale Euro-Projekt erreicht habe.

Nicht zuletzt die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (kurz: BIZ), sozusagen die Zentralbank aller Zentralbanken, hat in ihrem im Juni veröffentlichten Jahresbericht 2023 deutlich gemacht, wohin die Reise geht. Dessen Kapitel III ist nämlich mit „Blueprint for the future monetary system: improving the old, enabling the new” überschrieben. Was so viel heißt wie: „Blaupause für das künftige Währungssystem: das Alte verbessern, das Neue ermöglichen“. Als Schlüsselbegriff wird hier die „Tokenisierung von Geld und Vermögenswerten“ genannt. Mit Token sind digitalisierte Werteinheiten gemeint. Nach dem Entwurf der BIZ könnten Zentralbankgeld, tokenisierte Einlagen und tokenisierte Vermögenswerte auf einer programmierbaren Plattform kombiniert werden. Diese Ansicht widerspricht eklatant der Beteuerung der EZB, dass ein digitaler Euro keineswegs programmierbar sein werde.

Unter dem Menüpunkt „Häufig gestellte Fragen zum digitalen Euro“ findet sich auf der EZB-Webseite dazu der Hinweis: „Ein digitaler Euro wäre unter keinen Umständen programmierbares Geld. Als programmierbares Geld wird eine digitale Form von Geld bezeichnet, die wie ein Gutschein für einen im Voraus festgelegten Zweck verwendet wird. Sie ist mit Einschränkungen versehen, wo, wann oder bei wem sie verwendet werden kann. Wie auch in dem Legislativvorschlag der Europäischen Kommission für den digitalen Euro vorgesehen, wäre der digitale Euro kein programmierbares Geld. Er könnte aber für automatische Zahlungen verwendet werden, falls Nutzerinnen und Nutzer diese Funktion nutzen möchten. So könnten sie beispielsweise eine automatische monatliche Zahlung einrichten, um digitale Euro unmittelbar an Familienmitglieder oder Freunde zu überweisen.“

Die von der BIZ entworfene „Tokenisierung von Geld und Vermögenswerten“ bedeutet jedoch nichts anderes als die Möglichkeit der Programmierbarkeit. Dabei setzt die BIZ noch dazu ausdrücklich auf eine öffentlich-private Partnerschaft (Public-private-Partnership, kurz: PPP), also auf das Zusammenwirken von öffentlicher Hand und Unternehmen der Privatwirtschaft, und hebt hervor: „Die Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor ist von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung technologischer Lösungen, die Einrichtung gemeinsamer Plattformen und die Gewährleistung einer angemessenen Aufsicht und Überwachung.“ Es bleibt also noch abzuwarten, welche Gestalt der digitale Euro nach der gerade eingeläuteten „Vorbereitungsphase“ tatsächlich erhalten wird. 

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Author: Vincent Howe

Last Updated: 1700142722

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