In einer mutmaßlichen Terrorzelle kursierten Bilder ihrer liberalen Moschee – nun schließt Seyran Ateş das Projekt vorerst. Im Interview spricht sie über das Leben unter permanenter Bedrohung.
Vor wenigen Tagen berichtete t-online exklusiv über mutmaßliche Anschlagspläne auf die liberale Moschee von Seyran Ateş in Berlin. Eine im Juli aufgeflogene mutmaßliche Terrorzelle mit Verbindungen zum sogenannten Islamischen Staat Provinz Khorasan hatte sie im Visier. Nun haben die Gründerin und ihre Mitarbeiter beschlossen: Vorerst bleiben die Türen verriegelt. Die Gefahr für die Mitarbeiter sei zu groß.
Im Interview mit t-online spricht Ateş über die Bedrohung jüdischen Lebens in Deutschland durch radikale Muslime, über die Gefahren für ihre liberale Gemeinde und über ihr Leben unter Polizeischutz. Sie macht Schuldige nicht nur unter den Gewalttätern selbst aus.
t-online: Frau Ateş, Ihre Moschee in Berlin hat gerade bekannt gegeben zu schließen. Wie kam es zu der Entscheidung?
Seyran Ateş: Wir haben bis auf Weiteres geschlossen. Bis Ende nächsten Jahres wollen wir auf jeden Fall noch existieren. Wir müssen uns allerdings ein neues Konzept überlegen. Die Gefährdungslage war immer sehr hoch. Deshalb habe ich seit Jahren Personenschutz. Den haben aber Mitarbeiter und Gemeinde nicht. Wir haben nun eine besondere Situation: Weil wir uns solidarisch mit Israel erklärt haben, sind wir wieder verstärkt Anfeindungen ausgesetzt.
Was ist dieses Mal anders?
Zeitgleich habe ich erfahren, dass der Islamische Staat schon länger auf uns aufmerksam geworden ist und es Anschlagsplanungen gab. Deswegen haben die Mitarbeiter und ich nun diese Entscheidung getroffen, ähnlich wie die verschiedenen jüdischen Einrichtungen. Wir sind mit unserer Kraft in diesem Moment am Ende.
Hat das auch mit dem Angriff der Hamas auf Israel zu tun?
Dieses Land hat versprochen, das Existenzrecht Israels und das jüdische Leben in Deutschland zu schützen. Trotzdem fühlen sich Juden hier nicht sicher, weil junge Muslime in einen regelrechten Blutrausch verfallen. Das macht mich sehr betroffen. Die gleichen Menschen bedrohen auch mich und unsere Gemeinde.
Ist die Schließung vorübergehend oder wird die Moschee wieder öffnen?
Ob wir tatsächlich aufgeben und nur noch dezentrale Bildungsarbeit machen, werden wir im Laufe des nächsten Jahres entscheiden. Die allermeisten Muslime in Deutschland praktizieren einen liberalen Islam wie wir in unserer Moschee. Allerdings sehr privat und ohne feste Anlaufstelle, versteckt sozusagen.
Wir sind deswegen bis heute überzeugt, dass es so einen Ort geben muss, an dem diese Menschen sichtbar werden. Konservative Verbände sollten nicht die Deutungshoheit über den Islam in Deutschland haben.
Welche Rolle spielen konservative Muslime dabei, dass Ihre Moschee immer wieder bedroht wird?
Orthodoxe und viele Konservative haben natürlich sehr aggressiv reagiert auf die Gründung der Moschee 2017. Zum Beispiel das türkische Präsidium für Religionsangelegenheiten, die Diyanet, und damit natürlich auch sein deutscher Ableger Ditib. Und das ägyptische Fatwa-Amt, das Dar al-Ifta. Und das Islamische Zentrum in Hamburg, das vom Verfassungsschutz als Instrument des Iran bezeichnet wird. Das alles war zu erwarten. Das war es aber nicht allein.
Sondern?
Ich hatte diese naive Vorstellung, dass Leute sich mit uns verbünden würden, die sich als Vermittler begreifen. Stattdessen zeigten sogenannte friedliche Konservative und Liberale mit dem Finger auf uns und markierten uns damit als Ziel für Gewalttäter.
An wen denken Sie, wenn Sie das nun etwas abstrakt umschreiben?
Zum Beispiel an einen muslimischen CDU-Politiker aus Hessen und an die Deutsche Islam Akademie in Berlin. Oder auch an den Liberal-Islamischen Bund. Gerade die Vorsitzende Lamya Kaddor, heute SPD-Bundestagsabgeordnete, lässt keine Gelegenheit aus, gegen uns zu wettern.
Aber aus der Politik werden Sie unterstützt?
Aktuell werden wir vom Regierenden Bürgermeister Kai Wegner und seinem Team politisch stark unterstützt. Ich hätte allerdings nie gedacht, dass im liberalen und linken Berlin erst eine konservative Regierung kommen musste, damit eine liberale Moschee Anerkennung in der Landesregierung erfährt.
Author: Nicole Hunt
Last Updated: 1703194562
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